Dichtung & Vertonung
Allgemein gesprochen halte ich nichts für so gesund als eine kräftige Portion Verkennung, die gewiß auch Nachteile haben mag, aber aus fröhlicher Verarbeitung dessen, was nachteilig ist, wächst Vorzügliches.
Robert Walser
Neu aus „Songs in Beige“ 2022
Dünkel fliegt mich an in hohem Bogen
Lässt nieder sich bei mir und ruht sich aus
Obwohl bekannt ist er mir nicht gewogen
Zu leicht zu schwer zu fassen unterm Strich ein Graus
Dünkel guckt mir zu und macht sich lustig
Verfolgt mich findet wieder sich bei mir
Ich seil mich ab verschwinde nehm den Bus Rich
tung wo mich niemand kennt nehme ein Bier
Meine Burg
Meine Sprache versiegt
Ich hör‘sie nicht mehr
Sie driftet nach Süden
Macht was sie will
Mein Sprechen baut ab
Funkloch und Flaute
Wellen zerschellen
Sind mir im Weg
Meine Sprache versiegt
Versickert im Sand
Findet sich wieder als
Teil einer Burg
Aus Silben und Lauten
Stimmlos und klingend
Seufzend sich räuspernd
Stockend und stumm
Meine Sprache versiegt
Hinkt und stolpert
Rollt nicht mehr rund
Und
Sprachlos die Burg
Liederzyklus „Aufschreie & Stoßseufzer“
Aufgeführt im Neubad Luzern 24.6. 2017 und bei der Unerhörten Musik Berlin im Mai 2019
Clips aus dem Neubad Luzern Juni 2017:
Fleisch_A&S , Freiheit , Als ob
Stücke in Ausschnitten
4 Bräute & 1 Broiler – Mittwochs bin ich immer so müde 2017-19
Ich sehe Sie ja gar nicht mehr, wo waren Sie denn gestern. Ich hätte Sie gebraucht. Ich wünschte, ich hätte mal jemanden, der mich unterstützt.
Der?
Ja, mich.
(…)
So. Das trägt man also in Norwegen. Aha, interessant. Mein Bieber, mein stinkiger kleiner Volkspisspott, Göttergatte und Jägerzaun. Rate, was ich tue und wann, nein. Laß mich raten. Ich könnte jetzt nach nebenan gegangen sein, und mich mit mir selbst beschäftigt haben, bevor ich vierzig Minuten später ein Heftchen gefunden haben würde, was weder Sinn noch anmachte, mit seltenen Exemplaren, verkleidet als sie selbst und in Pose. Da plötzlich ein Allgemeinplatz. Dass die Ohren sich abwenden und die Kopfhaut sich nach außen stülpt und angewidert vom Rest erübrigt sich das Übliche. Bist du heute wieder deinem Beruf nachgegangen? Oder der kleinen Aushilfe. Als sie Kaffee holte für dich, deinesgleichen und den Rest. Wie alt war sie doch gleich, siebzehn? Ein schönes Alter für Dienstleistungen aller Art und langsam sollte auch daran gedacht werden, einen Haushalt zu führen.
Dichtung
1.Klasse 2015
Im Radio klingt es, als wär der Teufel los
Als wär‘ es so weit
Nach Krise
Sie überschlagen sich, die Rundfunkreporter und Reporterinnen mit schrillen Stimmen
Passend zwar und angemessen angesichts der Dringlichkeit
Doch schrill viel zu schrill du musst leiser drehen
Leiser drehen
Das Fernsehen zieht mit bringt die Bilder
Guck sieh doch mal die Ströme von Menschen
Über Land jetzt immerhin ohne zu ertrinken
Retten sie sich rüber in den bleichen Westen
Weite Herzen doch die Möglichkeiten endlich
Herzen weit Möglichkeiten endlich
Und ich in der 1.Klasse hab noch keinen einzigen richtigen Flüchtling gesehen
Nicht einen noch eine
Wirklich nicht
Keine.
Bayern
Armes Land du Fläche
Sonne sammeln Bäche
Pissen Gülle stinkt
Wie auch deine Autos
Und wenn keine Wiesen sind geht es auch mal Lautlos
Reiches Land du Garten
Andere Länder warten
Noch auf’s Klassenziel
Reiches Land du Club
Trainer ist dein Bub
König ist der Kaiser
Schweigt drum ist es leiser
Vorwort zu HÜSCH Edition Dia 2015
Sehr geehrte Freundinnen und Freunde des Hüsch’schen Textwesens, unter Oberbegriff und Motto zusammengerafft und handverlesen in diesem schönen Elektrobuch, das ich hiermit einleite.
Hierfür hole ich meine drei Hüsch-LPs „Nachtkonzert“, „Das neue Programm“ und „Das Lied vom runden Tisch“ hervor und plötzlich weiss ich es wieder. Es ist der Swing. Der Swing mit lakonischen Texten, den ich an Hüsch so mochte und der mich geprägt hat. Fats Waller und Hanns Dieter Hüsch.
Einmal bin ich ihm begegnet. Im Mai 99 im Mainzer Unterhaus, wo ich meinen Soloabend „Damenbart“ stemmte und er seinen Freund Franz Hohler besuchte, der im großen Saal gastierte. Ich war leider zu verbrettert, um ordentlich zu grüßen. Ich glaube sogar, ich bin fluchtartig nach draußen. Erinnerte Ehrfurcht und akute Entfremdung trieben mich in meine Unterkunft.
Denn meine Hoch-Zeit mit Hüsch lag zwanzig Jahre zurück. Mutwillig sitzengeblieben in der 10. Klasse und unverhofft noch dafür belohnt, kam ich neben einer ebenfalls Halbspanierin zu sitzen, mit welcher ich mich aufs Schönste orientierte: Wir fuhren mit den noch frischen Grünen nach Bonn zur Anti Pershing-Demo, waren Gründungsmitglieder und Redakteurinnen unserer Schülerzeitung und gingen zusammen zu DGB-Veranstaltungen, wo wir ihn zum ersten Mal sahen. Den mittelgroßen Hüsch, der leise lächelnd in himmelblauer Jeanskombi auf die Bühne hinkte, um Platz zu nehmen an einem Schreibpult, das Orgel war. Und diese Orgel, es war die elektronische Philicorda mit Register-Kippschaltern, Einfinger-Akkord-Automatik und Vibrato in Beige, klang einerseits wie Kirchenorgelverhonepipelung und Stummfilm und andererseits und besonders, wenn rhythmisch gespielt, wie Jazz. Er muss mich an den klavierspielenden Lieblingssänger meiner Kindheit erinnert haben, Fats Waller; weil der Drehknopf für die Sendersuche am Radiorekorder überdreht war, hörte ich immer einen Sender im WDR, der nachmittags Jazz und Swing spielte und am liebsten Fats Waller. Der swingte wie Sau und man hörte, wie er beim Singen mit den Augen zwinkerte, obwohl er sie aufriss wie sein Kollege vom Niederrhein.
Ironie? Nein. Abrücken. Über den Dingen und neben sich stehen im Sitzen, sich selbst und das Umfeld auf’s Korn nehmen und dabei nackte Liebe verströmen.
Das alles, glaube ich, brach sich Bahn. Und da ich auch noch schön katholisch erzogen war und im Kirchenchor gesungen hatte, rührte das alles an Allem. Ergab das alles, denke ich, ein Konglomerat aus Gelerntem und freiwillig Angeeignetem, Gequältem und Beflügelndem und mündete in den Berufswunsch: entweder Tingeltangel oder Lehrer.
Und dann diese Stimme. Erst später kam ich drauf: Väter der Klamotte! Ich musste mir das Heft zum „neuen Programm“ kaufen, damit endlich Inhalt in mich rieseln konnte. Weil ich immer abgelenkt war von dieser Stimme. Diese singende, näselnde, tönende, zwingende Stimme. Und wie die klang! Wenn der sang und ich wollte ursprünglich nicht über die kabarettistischen Texte schreiben, denn das Kabarett und ich sind keine Freunde.
Und ich dachte; oh nein, hat der etwa doch Kabarett gemacht am Ende? Der Hüsch? Belehrendes Herren-Kabarett von oben herab?
Auf keinen Fall. Hans Dieter Hüsch. Musikalischer Literat und Hintergründler. Melancholiker, Menschenfreund und Weltverbesserer. Erster Träger des deutschen Kleinkunstpreises und Sprach-Wort- und Spiel-Künstler und Musiker, der später Elektro-Orgel spielte statt Klavier.
„Das Klavier“ und seine Literatur, das immer wieder steht für betonierte Bürgerlichkeit in seinen frühen Texten: „liebe Klavierbezirksgemeinde …“
In denen Setting und Personal an das der „Väter der Klamotte“ erinnern, wo Frauen nur als „gnädige Frau“ und Nerzträgerinnen vorkommen und die Männer als reaktionäre Spießer umher stolpern. Lauter leere Hüllen. Die Prosa von Hanns Dieter Hüsch ist voller Spitzen gegen den „starken Mann“. Das Männerbild (von „damalig“ braucht man, glaube ich, nicht schreiben) und der Mann an sich ist immer wieder Thema, natürlich auch als Selbstreferenz: „Machen Sie was Anderes, was Politisches, oder singen Sie was, nicht so’n lahmes Zeug“.
Der hinkende Außenseiter Hüsch hat sich überall hingehockt, um aus der Froschperspektive sein Umfeld zu filetieren. Die hier gesammelten Texte sind innere Monologe, Gedankenströme, die die Pointe verweigern, den Blick verdrehen und die Ohren schärfen. Mal mehr, mal weniger dramatisiert. Gereimt und ungereimt. Und beim Lesen hört man ihn.
Mein Lieblingstext ist „Fliege“. Ein zeitloser Text zum Thema Anpassung. Der Ich-Erzähler, wer? Ich? rettet eine Fliege aus seinem Bierglas und lässt sie fliegen. Wie…das war’s? Ja. Im Groben. Hüsch, Topograph des niederrheinisch-bundesrepublikanischen Mikrokosmos, Erbse unter dem Kissen der Bierseeligkeit, tourte mit Jazzmusikern oder nahm mit ihnen Playbacks auf für seine Shows. Und wenn Kollegen und Publikum nervten, revanchierte er sich mit einem Song:
„Karl-Gustav macht polit-gynäkologische Lieder, Heinz-Detlef macht sado-poetische Bekenntnislieder und ich mach dummes Zeug“.
Oder sein Beitrag zum Bardentum am recycleten Volkslied, „drei Griffe – eine Single“: „Geh ich in die Küch‘ hinein / ist das Wohnzimmer ganz allein / gehe ich zum Klo hinauf / beleidigt ist der Keller drauf“ Und bereits in den Siebzigern, als die erste Blödelwelle rollte, hatte er’s erfasst: „Ich hoffe inständig, ihr behaltet mich alle a bisserl noch lieb, denn marketingmäßig, wie ich erfuhr, bin ich ein Langzeit-Typ, doch pfeif ich auf die Erkenntnis und prophezeie euch: Ich mach — damit es sich reimt — dummes Zeuch.“
Früher, auf dem Stand von heute, hätte ich ihn zum Duett aufgefordert. An zwei Philicordas. Denn ich habe genau so eine in meinem Kleiderschrank.1991 für ein Musiktheaterstück erstanden von einem Kreuzberger Pfarrer für 50 Mark, mit der ich diverse abseitige Projekte bestritten habe und die zwar nicht so viele Kilometer auf dem Buckel hat wie die von Hüsch, dafür aber mehr Töne.
Ich habe ihn noch mal live gesehen. Mit seinem Abschiedsprogramm „Wir sehen uns wieder“ in den Wühlmäusen an der Philicorda sitzend und das einzige, woran ich mich erinnere, ist der Satz – ich hab Gott gesehen in Dinslaken auf dem Fahrrad – oder so ähnlich. Und ob er gesungen hat, weiß ich auch nicht mehr. Wahrscheinlich war ich wieder abgelenkt von der Stimme und hab zu viel zwischen den Zeilen gedacht, denn das ermöglicht er. Hanns Dieter Hüsch.